In unserer neuen Artikelserie stellen wir visionäre Startups vor, die mit innovativen Ideen den Markt bereichern. Heute werfen wir einen Blick auf Scinora – ein Unternehmen, das die Zellkulturforschung neu denkt. Ein besonders spannender Aspekt: die Entwicklung sogenannter „animal-free sera“ – also tierfreier Supplemente für Zellkulturen. Diese ersetzen klassische Zusätze wie fötales Kälberserum und bieten gleich mehrere Vorteile: Dank kontrollierter biotechnologischer Produktionsprozesse sind sie ethisch unbedenklich, reproduzierbar, basieren vollständig auf menschlichen Proteinen, bieten eine höhere Sicherheit gegenüber biologischen Verunreinigungen und erleichtern die regulatorischen Abläufe. Ein Ansatz mit viel Potenzial – nicht nur für Labore, sondern auch für die pharmazeutische und kosmetische Industrie.
Scinora – ein Biotech Startup

Scinora ist ein Schweizer Biotech-Startup, das sich auf die Entwicklung tierfreier, hochfunktionaler Zellkulturmedien spezialisiert hat. Statt tierischer Produkte setzt das Unternehmen auf Bestandteile aus kontinuierlich wachsenden menschlichen Zelllinien, welche gezielt Proteine bereitstellen, die für das Zellwachstum essenziell sind. Produkte wie XplaceH oder SimplaceX ermöglichen eine stabile, sichere und ethische Zellkultur – und sind somit eine starke Alternative zu herkömmlichen, tierbasierten Lösungen. Des Weiteren bietet Scinora chemisch definierte Zellkulturmedien als Kit zur Kulturoptimierung vor Ort sowie als zellspezifische Spezialmedien an. Scinora steht damit beispielhaft für einen Wandel in der Life-Science-Branche hin zu mehr Verantwortung und technologischer Exzellenz.
Interview mit Beat Thalmann

Herr Thalmann, Sie sind der Gründer von Scinora. Wie kam es zur Gründung und was war der Auslöser?
Da muss ich ein wenig ausholen. Es war direkt nach den praktischen Arbeiten zu meiner Doktorarbeit in einer biopharmazeutischen KMU, als ich in ein akademisches Labor für Umwelttoxikologie gewechselt bin. Ich war tierfreie Zellkulturmedien und Zellkulturen in Suspension gewohnt und wurde wieder mit serumhaltigen Systemen mit adhärenten Kulturen konfrontiert. Um die Prozesse primär zu vereinfachen sowie reproduzierbarer zu machen, war es meine Aufgabe, die zahlreichen Zelllinien zumindest versuchsweise in Suspension zu bringen und wenn möglich tierfrei zu kriegen. Dies gelang sehr gut. Darauffolgend wurde ein erstes Produkt und eine erste Ausgründung gestartet, mit dem Ziel ein weit verbreitetes Produkt in der Toxikologie – das Rattenleber S9 – mit biotechnologisch produzierten Alternativen zu ersetzen: EWOMIS. Unzufrieden, dass ich die anderen Expertisen nicht mehr beackern konnte, d.h. die Zellkulturmedien- sowie Zelllinienentwicklung, habe ich als Soloprojekt etwa gleichzeitig Scinora gegründet. Seit 2022 ist Scinora in Rafz zu Hause, wobei mittlerweile auch das Portfolio von EWOMIS zu Scinora gehört.
Wieso ist animal-free Serum ein Thema in der Forschung?
Fötales Kälberserum, kurz FCS, galt mangels Alternativen lange als unersetzlich. Es wird durch entfremdende Art und Weise aus frisch- oder ungeborenen Kälberföten gewonnen. In den 1980er Jahren gab es verstärkt Bestrebung, FCS durch serumfreie Spezialmedien zu ersetzen. Diese haben sich wegen des Preises nicht durchsetzen können. Durch die BSE-Fälle Anfang der 1990er bedrohte diese Problematik akut die biopharmazeutische Produktion. FCS wurde massiv teurer, da es nur noch aus Ländern ohne BSE importiert werden konnte. Zeitgleich hat man mit FCS-haltigen Medium rekombinante Antikörper hergestellt. Blut und auch im verringerten Masse FCS enthalten einen hohen Anteil an Antikörpern. Dies beeinträchtigte die Aufreinigung der humanen, rekombinanten Antikörper. Schlussendlich gelang durch die Umstellung auf serumfreie, komplexe und dann chemisch definierte Medien die erleichterte Aufreinigung der Produkte sowie eine höhere Produktivität. Des Weiteren überzeugten chemisch definierte Medien durch eine sehr hohe Reproduzierbarkeit. Durch ethische Bedenken, die Fortschritte beim Laborfleisch sowie hauptsächlich des hohen Preises werden Alternativen in der Standardzellkultur wieder interessant. Zudem wird der Wunsch nach Reproduzierbarkeit sowie den Wechsel hin zu humanrelevanter Zellkultur, d.h. ohne die Zugabe irgendwelcher tierischen Produkte ausser humanen Proteinen, grösser. Solche Entwicklungen kommen immer in Wellen, wobei der Preis schlussendlich die entschiedenste Rolle spielt. Ich bin mir auch bewusst, dass die Kunden nicht auf bestehende Protokolle verzichten wollen und somit soll ein Supplement funktionell ähnlich wie FCS sowie in Kombination mit den Standardbasalmedien funktionieren. Diese Voraussetzungen erfüllen chemisch definierte Komplettmedien nur bedingt und werden somit noch nicht akzeptiert, ausser es geht um Anwendungen in hochspezialisierten, standardisierten Prozessen. Dadurch werden universelle, humanrelevante Serumersatzsupplemente mit gleicher Handhabung sowie Effektivität wie bisher mit FCS sehr stark nachgefragt. Insbesondere mit der Simplace-Produktlinie, bei welcher SimplaceX das erste breit erprobte Produkt darstellt, erfüllen wir den Wunsch nach einem Komplettserumersatz und reichern XplaceH mit zusätzlichen Vitaminen, Spurenelementen sowie Wachstumsfaktoren an.
Aus welchen Bestandteilen gewinnen Sie das erwähnte Serum?

Seit Jahren verwendet Scinora eigens entwickelte humane Suspensionszelllinien, d.h. Zelllinien, welche ohne die Verwendung von Oberflächen oder 3D-Strukturen in chemisch definierten, tier- sowie proteinfreien Medien wachsen. Diese Zellkulturen werden im Bioreaktor geschüttelt und erreichen Zelldichten ähnlich zu Standardzelllinien wie HEK293 und CHO. Scinora arbeitet hier mit Leberzelllinien, die eine Vielzahl an Plasmaproteinen wie zum Beispiel Albumin, Transferrin und Alpha-1-Antitrypsin sowie zahlreiche Adhäsionsproteine wie Fibronektin, Nidogen-1 und Vitronektin. Diese Proteine werden als Mischung angereichert sowie aufgereinigt. Das daraus resultierende XplaceH bietet somit zahlreiche Funktionen, welche durch das FCS vermittelt werden.
Was war Ihr bisher größter Meilenstein – und was die größte Herausforderung?

Der grösste Meilenstein war die Idee an sich. Zuvor lag der Fokus auf die Herstellung der HiCultS9, welches eine Präparation für die Toxikologie aus Rattenlebern ersetzt. Für die Produktion des HiCultS9 werden aber nur die Zellen benötigt. Nach der Abtrennung der Zellen bleibt das verbrauchte Medium übrig, welches zuvor einfach entsorgt wurde. Neugierig wie ich bin, wollte ich wissen, was die Zellen alles produzieren, und startete Untersuchungen hinsichtlich Proteingehalt und den einzelnen Komponenten. Daraus folgend ergab sich die Erkenntnis, dass die Entsorgung reine Verschwendung ist und die Proteine aufgereinigt werden müssen. Zeitgleich ergaben sich Herausforderungen mit den chemisch definierten Medien hinsichtlich adhärenter Zellkultur, da einzelne Kunden von geringer Adhärenz – interessanterweise insbesondere nach Verwendung von Trypsin – berichtet haben. Durch Zugabe des XplaceH konnten die Adhärenz und das Wachstum schlagartig verbessert werden. Eine Erklärung könnte die Anwesenheit von speziellen Spurenproteine, welche die Zellen sonst nur im FCS finden. Somit pickt sich jede Zelllinie die Komponenten aus dem Serum bzw. XplaceH, was sie braucht.
Die grösste Herausforderung war und ist weiterhin, dass Kunden den Wechsel auf serumfreie Systeme scheuen. Entweder arbeitet der Kunde an stark personalisierten Lösungen, wo ein Wechsel zu chemisch definierten Medien durch die geringe Prozesskomplexität möglich ist, oder man möchte einen 1:1-Ersatz des FCS, was in über 90% der Fälle angefragt wird. Da die zahlreichen Zelllinien weltweit in noch unterschiedlicher Weise behandelt, gezüchtet und gelagert wurden, macht die Sachlage nicht einfacher. Schon allein «das FCS» existiert nicht und besitzt zahlreiche Qualitäten sowie eine hohe Chargenvariabilität. Meist wird das FCS dann mit XplaceH behandelt und die Zellen sterben einfach, da sie den Wechsel auf etwas neues nicht verkraften, da diese zum Teil über 20-50 Jahre nur von bovinen Proteinen umgeben waren. Ich nehme die Herausforderung aber gerne an, da ich den Beruf des Zellflüsterers gerne mache.
Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Unstetig. Somit kann ich Ihnen diese Frage schlicht nicht exakt beantworten. Aber es beinhalten neben der obligatorischen Büro- auch sehr viel Laborarbeit. Das Verhältnis sowie die Tagesarbeitszeit ändern sich aber je nach Auftragslage.
Was ist das Besondere an Ihren Produkten?

Scinora bietet zahlreiche Lösungen auf die Herausforderungen in der Zellkultur, ob es nun chemisch definierte Medien oder Serumersatzsupplemente sind. Es gibt grundsätzlich für alle Zelllinien, multizellulären Konstrukte sowie Gewebe eine passende Lösung. Einige der chemisch definierten Medien haben wir zudem in den SciKit vereint, mit welchem der Kunde mit >90%iger Wahrscheinlichkeit die gewünschte Zelllinie serumfrei kriegt. Scinora setzt bewusst auf ein Baukastenprinzip, welches eine hohe Flexibilität erlaubt. Wenn die passende Kombination an Medien sowie Supplementen gefunden wurde, kann dies Kundenspezifisch hergestellt werden. Somit ist der SciKit eine initiale Massnahme, um die Bedürfnisse der Zelllinie zu testen. Hier ist das XplaceH natürlich auch enthalten, was in den meisten Fällen Wunder wirkt. Falls man nur die Essenz aller Produkte haben und auf die Flexibilität verzichten möchte, bietet Scinora den Serumkomplettersatz SimplaceX an. Dieses Produkt beinhaltet alle Komponenten, welche Zellen für das Wachstum in handelsüblichen Basalmedien wie DMEM, DMEM/F12 oder RPMI1640 benötigen.
Muss der Kunde bei der Anwendung ihres Produktes etwas beachten?
Primär darf der Kunde nicht gleich aufgeben. Meist ist eine Passage nicht genug. Man sollte zudem beachten, dass die meisten Zelllinien über Jahrzehnte hinweg einer Selektion ausgesetzt waren und sich somit an die Bedingungen vor Ort angepasst haben. Dadurch sind auch Subpopulationen entstanden, welche andere langsam überwachsen oder verdrängen können. Falls der Kunde nun auf XplaceH oder ein anderes Produkt wechselt, sind die optimalen Bedingungen nicht immer gegeben und die Zellen sterben im schlimmsten Fall weg. Hier ist eine graduelle Entwöhnung des FCS nötig. Zudem benötigen einige Zelllinien zusätzliche Komponenten, welche im SimplacX abgebildet sind, da XplaceH als reines Proteinpräparat z.B. keine Spurenelemente oder Vitamine enthält enthält und somit hinsichtlich handelsüblicher Basalmedien keine Komplettlösung bietet. Bei all diesen Fragen und weiteren Informationen empfehlen wir allen Kunden, mit mir Kontakt aufzunehmen und die Schritte bzw. die Bedürfnisse individuell zu besprechen.
Welche wissenschaftlichen oder technologischen Prinzipien stecken hinter Scinora und welche Philosophie verfolgen Sie?

Ich war lange Zeit ein Purist hinsichtlich chemisch definierter Medien, musste jedoch feststellen, dass die Adaption von Zelllinien und der Wechsel von serumhaltigen zu serumfreien Medien nicht trivial ist, insbesondere beim Kunden vor Ort. Die Zusammenarbeit fusst nicht nur in der Bereitstellung von Produkten, aber auch auf eine intensive, wissenschaftliche sowie zum Teil technologische Beratung. Man kann sich die Aufgabe von Scinora analog zu den Aufgaben eines Therapeuten für Doping- oder Suchtopfer verstehen. FCS ist diese Droge, da es eine Vielzahl an Wachstumsfördernder Stoffe enthält, welche im frühen Stadium der Entwicklung oder vereinzelt von Krebszellen gebildet wird. Dies entspricht keinesfalls immer dem zelltypischen Umfeld der Zelle. Die Entwöhnung auf ein natürliches zelltypisches Wachstum ein langwieriger Prozess.
Das Ziel ist eine Minimallösung, d.h. dass man den Zellen alles bereitstellt, was sie zum zelltypischen Wachstum benötigen, wobei sie den Rest selber produzieren. Dieser Ansatz ist keineswegs neu und wird schon bei der Differenzierung von Stammzellen gemacht. Vielfach konnte ich beobachten, dass die Zelllinien nach etwa 5-10 Passagen keine externen Proteine mehr benötigen, da sie gelernt haben, die nötigen Proteine selbst herzustellen und dadurch auch noch die zelltypischen Eigenschaften wiedergewonnen haben. Insbesondere für Anwendungen bei Organ-on-a-Chip oder bei Organoidkulturen ist dieser Aspekt wichtig. Hier helfen die Produkte von Scinora weiter.
Welche Pläne verfolgen Sie für die nähere Zukunft – worauf dürfen wir gespannt sein?
Ich mache bei den bestehenden Produkten nicht Halt,möchte aber nicht allzu viel verraten. Was aber kurzfristig sicherlich kommen wird, sind weitere Kitsysteme. Hier wird sicherlich ein einfach handhabbarer Supplemente-Kit für die Anwendung in Standardbasalmedien ins Portfolio aufgenommen werden. Dies bedeutet konkret, dass die Simplace-Produktlinie expandiert und weitergeführt wird. Somit geht der Trend auch in Richtung einfacher Handhabung sowie Automatisierung.
Natürlich kommt es auch immer zu Fragen der Hochskalierung. Dabei vertraue ich auf die Expertise von Partnern mit entsprechenden Einrichtungen und Abläufen, sodass ich mich mehr auf die Kunden sowie die Innovation konzentrieren kann.
Was würden Sie anderen Gründerinnen und Gründer mit auf den Weg geben?
Ich weiss nicht, ob ich ein gutes Beispiel für Gründerinnen und Gründer sein kann, insbesondere in diesem Geschäftsbereich. Scinora wollte ich von Anfang an organisch wachsen lassen. Im Biotech-Bereich ist es aber nicht einfach, ohne externe Mittel zu wachsen, da dauernd sehr hohe Entwicklungskosten anstehen. Deswegen muss man immer kreativ sowie flexibel sein und ein grosses Interesse an der Thematik behalten. Mit den zahlreichen Jahren als Gründer sowie leider auch als Liquidator würde ich mein Idealkonstellation auf folgende Punkte zusammenfassen:
- Skalierbares Produkt, welches einfach verständlich ist;
- Ein Gründerteam von 2-3 motivierten Personen, welche zwingend nicht der gleichen Meinung sein müssen, nicht den gleichen Hintergrund haben sollten, aber immer das gleiche Ziel vor den Augen haben;
- Sich bewusst sein, dass man während 5-10 Jahren keine finanzielle Sicherheit hat und dafür sorgen muss, dass das Projekt nicht deswegen auseinanderbricht;
- Fokussierung auf strategische Partnerschaften, welche langwieriger zu erreichen sind als Venture Capital, aber langfristig mehr Perspektiven öffnen. Dies heisst auch, strategische Allianzen zum gegenseitigen Nutzen einzugehen und sich bewusst sein, dass man ab und zu liebgewonnene Projekte in andere Hände übergeben sollte;
- Und ganz wichtig: Man sollte kranke Pferde einen ehrwürdigen Tod sterben lassen und diese nicht bis zum bitteren Ende reiten.
Diese Idealvorstellung trifft in zahlreichen Punkten nicht komplett auf Scinora zu, aber ich würde es dennoch genau wieder so machen.
Ausblick
Scinora steht für eine neue Generation der Zellkultur – ethisch, innovativ und zukunftsorientiert. Als Fachhändler freuen wir uns, diesen spannenden Ansatz zu unterstützen und unsere Plattform für solche Vorreiter der Life-Sciences zu öffnen.
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